»Warum ist man erst komplett mit Abitur und Studium?«

Martin Kaun, Sänger der Band Grenzenlos, im Gespräch über zwei Handwerkersongs, Zugehörigkeit, Vorurteile und fehlende Wertschätzung.

Herr Kaun, über 500.000mal wurde der Handwerker-Song „Ohne uns geht nichts“ Ihrer Band auf Youtube angesehen. Wie erklären Sie sich diese Begeisterung?
Martin Kaun: Ich glaube mit der Aussage, „ohne uns geht nichts“, haben wir einen Nerv getroffen. Angelehnt an den Slogan „Wirtschaftsmacht von nebenan“ der bundesweiten Imagekampagne wollten wir ein Lied schreiben, das ein Zugehörigkeitsgefühl schafft. Ich freue mich, wenn wir Videos zugeschickt bekommen, in denen Handwerker unseren Song auf der Baustelle oder in der Werkstatt singen. In vielen Kommentaren schreiben Handwerker vom Stolz, den sie empfinden.

Um den Nerv treffen zu können, muss man wissen, wie das Handwerk tickt.
Sind Sie Handwerker?

MK: Nein, inzwischen bin ich in der Musikbranche aktiv, arbeite aber seit meiner Kindheit mit im Abwassertechnik-Betrieb meines Vaters. Unser Bassist ist Zimmerer. Der Schlagzeuger ist Lagerlogistiker. Der Gitarrist arbeitet in der Kfz-Branche. Wir wissen, wie Handwerker ticken.

Sie haben bereits zwei Lieder über das Handwerk veröffentlicht. Warum?
MK: Handwerker stehen in luftigen Höhen, tiefen Gruben, schwitzen und frieren, damit alles funktioniert. Das alles sollte in den ersten Song hinein. Aber Handwerker können nicht nur jubeln.

Wo sehen Sie Probleme?
MK: Im Betrieb meines Vaters wurde es immer schwerer, Azubis und Fachkräfte zu finden. Darüber habe ich nachgedacht und stieß auf viele Vorurteile, denen Jugendliche bei der Berufswahl begegnen. Warum ist man erst komplett mit Abitur und Studium? Lernt man etwas Vernünftiges nur im Büro? Nein, wer mit seinen Händen etwas scham, leistet etwas. Deshalb singen wir „es braucht dich“ und werben für die Ausbildung im Handwerk.

Wer Ihrem Gesang zuhört, spürt Begeisterung. Sind Handwerker Helden?
MK: Jeder, der etwas zum gesellschaftlichen Wohl beiträgt, ist ein Held. Ob Strom, Licht oder Wärme – Handwerker erfüllen Grundbedürfnisse. Das ist elementar. Systemrelevant. Das hat Corona bewiesen. Deshalb wünsche ich mir für das Handwerk eine viel höhere gesellschaftliche Wertschätzung.

Die Fragen stellte Jens Seemann

Aus: Nordhandwerk 09/2021